„Ein Überbein oder Ganglion wurde in meiner Jugend mit einem 5 DM-Stück und einem Hammer behandelt“

Aus ganz Deutschland kommen Patienten nach Heidelberg, um bei den Ärzten des Deutschen Gelenkzentrums Hilfe zu bekommen, häufig, weil anderswo eine Behandlung gescheitert ist oder sie sich für eine komplexe Erkrankung einem Spezialisten anvertrauen möchten. Eine auffällig hohe Dichte an Ärzten aus der Focus-Liste praktiziert in der Klinik. Um auf dem neuesten Stand in Sachen Behandlungsmöglichkeiten zu bleiben, haben wir uns bei dem ärtzlichen Direktor, Herrn Prof. Dr. Thermann umgehört. Ein Gespräch über neueste Behandlungsmethoden an Fuß und Knie...

GM: Ihre Klinik legt offensichtlich auch viel Wert auf Ambiente, wie beurteilen Sie als Arzt diese Umgebung? Gibt es einen Wohlfühlschub, wenn Patienten sich wie im First Class Hotel fühlen?

Prof. Dr. Thermann: Jeder Patient ist erheblich entspannter, wenn er nicht die klassische Klinikatmosphäre verspürt, wenn er hotelähnlich aufgenommen wird und einen hohen Personalschlüssel im Bereich des Pflegebereiches hat. Dieses führt neben der Expertise und der Qualität der Ärzte zu häufig schnelleren Heilerfolgen.

GM: Lassen Sie uns zum Fachlichen kommen. Wir würden unseren Lesern gerne einen aktuellen Stand zu diversen Diagnosebildern geben. Beginnen wir mit den Knien: Sehen Sie im Golfsport besondere Verletzungsmuster der Knie?

Prof. Dr. Thermann: Das Knie ist im Gegensatz zur Schulter, zum Rücken, oder zum Hand- und Ellenbogengelenk nur marginal an den Bewegungsabläufen beim Golf beteiligt, so dass wir eigentlich keinerlei Überlastungsschäden im Kniegelenk sehen. Akute Verletzungen wie Knieverdreh-Traumen oder Kreuzbandriss auf schlüpfrigem, unebenem Rasen sind Verletzungen, die jetzt nicht spezifisch für den Golfsport sprechen.

GM: Das Alter des durchschnittlichen Golfers spielt in Deutschland ja eine gewichtige Rolle. Wie ist der aktuelle Stand hinsichtlich einer Knie-Arthrose? Sind Prothesen „state of the art“, und ab wann ist es sinnvoll, sich bei Arthrose in chirurgische Hände zu begeben?

Prof. Dr. Thermann: Zum aktuellen Stand der Arthroseinzidenz in unserer Gesellschaft gibt es keine absolut harten Daten. Der Gesundheitsbericht des Bundes gibt an, dass zwischen 40-49 Jahren, zwischen 12-15% Männer und Frauen schon eine Kniearthrose haben, jedoch ab dem 60. Lebensjahr die Zahl ansteigt (auf 30% bei Männern und über 45% bei den Frauen). Die Arthrose sollte bei einem Ex-Sportler oder Golfer proaktiv angegangen werden. Ist ein kontinuierlicher Schmerz vorhanden bei entsprechender Vorbelastung (z.B. Leistungssportler, Meniskusoperation, Knorpelverletzung) ist es sinnvoll, allein durch selbständige, gymnastische Beübung, (evtl. mit Unterstützung von Physiotherapeuten) den schädlichen Entwicklungen des Weichteilmantels um das Kniegelenk entgegen zu steuern.

Naturgemäß sind wir eine Sitzgesellschaft mit erheblichen Muskelverkürzungen, so dass tägliche Dehnübungen der Beinmuskulatur schon eine Form der Prävention sind. Die zunehmenden O-Bein-Stellungen (die ebenfalls ursächlich sind) werden bei jüngeren Menschen mit einer operativen Umstellung behandelt. Auch Außenranderhöhungen im Schuh und sehr komfortable “Unloader-Schienen“, die das Gewicht nach außen drücken und den inneren Gelenkanteil entlasten, haben eine gute konservative Wirkung. Bei noch vorhandenem Knorpel ist für mich zum jetzigen Zeitpunkt der Einsatz von Wachstumsfaktoren (Eigenblutbehandlung) ein deutlicher Fortschritt als noch vor Jahrzehnten als wir in akuten Stadien nur Cortison gespritzt haben, das wiederum nur eine oberflächliche Wirkung hat.

„Die Kniespiegelung hat bei gewissen Verletzungsmustern keine substanzielle Bedeutung und ist daher auch verurteilt worden.“

GM: Was halten Sie vom Einsatz von Hyaluronsäuren und was wenn alles nichts wirklich hilft?

Prof. Dr. Thermann: Hyaluronsäuren in Zusammenhang mit Wachstumsfaktoren führen häufig zu einer Beschwerdeabnahme über ein Jahr, so dass man dies im Intervall dann wiederholen kann. Cortison hat nur noch Bedeutung, wenn erhebliche Schwellungen und Ergussbildungen auftreten. Hier kann man eine Hyaluronsäure mit Cortison kombinieren.

Die Knieprothese ist bei ausgereizten konservativen Maßnahmen die Methode der Wahl. Hierbei sollte extrem genau differenziert werden, ob eine Schlittenprothese mit der Rekonstruktion nur einer Gelenkhälfte angewendet werden kann, da wir durch den Erhalt des Kreuzbandes bei dieser Technik ein mehr oder weniger normales Knie erhalten (wir brauchen nur einen Reifen wechseln und nicht alle vier).

Es sollte unbedingt eine Prothese mit optimaler Flexion verwendet werden. Ich selber verwende eine anatomische Prothese, die somit die kinematischen Vorgänge des Knies natürlich nachempfindet. Der Regelfall der Knieendoprothesen bietet das nicht. Aus meiner Erfahrung sollte gerade bei aktiven Golfern auch die Kniescheibenrückfläche mit einem entsprechenden Implantat versorgt werden, da dieses eine optimale Verankerung zwischen der neuen Prothese und der Kniescheibe ermöglicht.

GM: Kniespiegelungen standen im Verdacht keine Vorteile zu haben. Was können Sie uns dazu berichten?

Die Kniespiegelung als Ausspülung von schon vorhandenen schweren Degenerationen des Meniskus, hat keine substanzielle Bedeutung und ist daher auch verurteilt worden. In Fällen von umschriebenen Knorpelerkrankungen machen wir natürlich eine Meniskusteilentfernung, aber mit Knorpelzelltransplantationen. Mittels Einbringung von Knochengewebe mit Knochenmark und Stammzellen sowie Wachstumsfaktoren ist es möglich, eine umschriebene Rekonstruktion von Knorpelverletzungen heutzutage auch bei älteren Menschen zu schaffen. Unabdinglich ist jedoch die Kombination bei lokalisierten Defekten im inneren Kniebereich, dass ein Gewichtstransfer in die Behandlung miteinbezogen wird.

GM: Wie ist der Stand bei Knorpelschäden? Was sind die häufigsten Fälle und was ist die aktuellste Form der Behandlung?

Die häufigsten Fälle sind natürlich Fälle mit innenliegender Arthrose, da das Gros unserer Bevölkerung O-Beine hat. Wir sehen durch eine sportlich sehr aktive Gesellschaft mittlerweile in jungen Jahren regelmäßig Meniskus Teilentfernungen, so dass in der natürlichen Weiterentwicklung dann nach 15-20 Jahren ein deutlicher Knorpelschaden vorliegt, zumal die aktiven Sportler später ihre Intensität des Trainings nicht reduzieren.

GM: Der Meniskus ist auch ein klassisches Beschwerdebild! Wie nähert man sich diesem Verletzungsmuster und was ist hier der neueste Stand?

Der Meniskus ist ein Verschleißteil wie der Autoreifen, der abgesehen von Sportlern in jungen Jahren nach und nach degeneriert. Das häufigste Auftreten von degenerativen Meniskusschäden ohne akutes Verletzungsmuster ist (entsprechend der Vorbelastung) ab dem 40. Lebensjahr. Durch massive Verbesserung der operativen Techniken können gerade bei jüngeren Patienten die Teilentfernungen vermieden werden, indem auch Lappenrisse heutzutage mit entsprechender Technik genäht werden können.

„Das Hauptproblem beim Kreuzbandriss ist die verbleibende Instabilität“

GM: Bei akuten Verletzungen wie einem Kreuzbandriss gehen die Meinungen sehr weit auseinander. In einer aktuellen Ausgabe der ZEIT hatte ein Journalistenkollege den seltenen Fall, dass seine beiden Kreuzbänder links und rechts gerissen waren. Er hat eine Bein operieren lassen, das andere herkömmlich verheilen lassen und mit extremer Physiotherapie aufgebaut. Die Ergebnisse waren ähnlich. Wie beurteilen Sie die unterschiedlichen Formen der Behandlung?

Das Problem des Kreuzbandrisses ist nicht, dass nach einer intensiven physiotherapeutischen Behandlung die Ergebnisse nach einem oder zwei Jahren vergleichbar sind. Das Hauptproblem ist die verbleibende Instabilität und damit die Folge der Meniskusdegeneration mit der Knorpeldegeneration. Ich würde gerne den Journalistenkollegen nach 15 Jahren noch mal untersuchen lassen. Alle wissenschaftlichen Dokumentationen haben bisher ergeben, dass dann eben eine deutlich stärkere Arthrose in einem nicht operierten Bein vorliegt. Dies gilt in erster Linie aber nur für junge, aktive Menschen.

GM: Wechseln wir zu den Füßen. Hier gibt es mannigfaltige Diagnosen, die jeder schon einmal gehört hat, aber nur wenige genau wissen, was es damit auf sich hat. Der Reihe nach: Was genau ist der Fersensporn und wie geht man die Behandlung heutzutage an?

Der Fersensporn ist eine klassische Zivilisationserkrankung. Wir haben als Sitzgesellschaft eine deutliche Verkürzung unserer Beugemuskelkette, die zu einem vermehrten Zug entweder auf die Achillessehne oder auf die Plantarfascie (eine sehnenartige Struktur, welche sich vom Fersenbein in Richtung Zehen ausdehnt) führt. Im Bereich der Plantarfascie kommt es teilweise zu Verknöcherungen, die als Fersensporn betrachtet werden. Das grundsätzliche Übel ist aber der Zug von oben. Fersensporne als solche sind die absolute Domäne der konservativen Behandlung. Hier sollte die Behebung der Verkürzung im Vordergrund stehen (bspw. selbständig auf der Treppe Streckübungen machen). Auch die Dehnung der Plantarfascie macht Sinn. Man kann bspw. selbständig mit einem Golfball rollen. Wichtig ist, dass man als Patient weiß, dass sich die Dehnübungen und Behandlungen teilweise über drei bis fünf Monate hinziehen müssen.

GM: Bei einem Bekannten hat sich die Achillessehne gerade mit einem lauten Knall verabschiedet. Die erstversorgenden Ärzte sind in einen Streit um „OP oder nicht OP“ geraten. Gibt es dazu valide Anhaltspunkte, also wann sollte man operieren und wann nicht?

Die konservative Behandlung der Achillessehnenruptur in einem Therapieschuh wurde von mir 1986 eingeführt und hat einen festen Bestand in der Behandlung gefunden. Vor diesem Zeitpunkt wurde ausschließlich operiert. Im weiteren Verlauf wurden aber exzellente Techniken der minimalinvasiven Achillessehnennaht entwickelt, die bei richtiger Anwendung nahezu keine Komplikationen haben. Auch als Pate der konservativen Therapie sehe ich die rein konservative Behandlung eher bei außerchirurgischen Problemen (wie bspw. eine bestehende Herzerkrankung oder Blutverflüssigung) als sinnvoll an. Beim Sportler ist meine Erfahrung, dass sich die Wiederherstellung der entsprechenden Spannung der Funktionseinheit besser mit einem minimalinvasiven chirurgischen Eingriff erreichen lässt. Entscheidend ist zudem die postoperative Behandlung, die funktionell sein sollte. Also keine Gipsbehandlung mehr, so dass ein frühzeitiger Impuls zur Heilung und zur Funktion in der Achillessehnenmuskelkette erfolgen kann.

GM: Nicht nur bei eitleren Frauenfüßen sind Hammerzehen etc. ein Problem. Auch bei den Herren der Schöpfung geht es soweit, dass die Fehlstellungen große Probleme bereiten. Wann operierte man und welche Methoden sind aktuell?

Hallux valgus (Ballenzeh) und Hammerzehen sind immer dann ein Problem, wenn sie fixiert und schmerzhaft sind, vor allen Dingen in festen Schuhen. Ein beginnender Hallux valgus, der keine Schmerzen macht und vielleicht den ästhetischen Vorstellungen nicht ganz entspricht, ist per se kein Operationsgrund. Die ästhetische Fußchirurgie, die vor 10 Jahren in den USA einen erheblichen Aufschwung erlebt hat, ist eigentlich extrem rückläufig, es sei denn man lebt in Los Angeles (lacht). In Deutschland hat sie niemals große Bedeutung erfahren. Französische und spanische Kollegen haben in der Vorfußchirurgie neuere Methoden mittels einer minimalinvasiven Technik entwickelt, die (bei richtiger Anwendung) sehr schöne Ergebnisse zeigen. Ich persönlich operiere Vorfußproblematiken seit drei Jahren nur noch minimalinvasiv und Patienten können in dem sogenannten Vorfußentlastungsschuh, bei voller Belastung, nach einem Tag aus der Klinik spazieren (oder werden ambulant operiert).

GM: Was kann man bei häufig auftretenden Problemen mit dem Sprunggelenk machen? Was sind klassische Beschwerdemuster und gibt es hier neuere Behandlungsmethoden?

Sprunggelenke haben verschiedene „Problemzonen“. Gerade sportlich aktive Menschen mit etwas laxem Bandapparat neigen zu Instabilitäten die, gepaart mit einer O-Fehlstellung im Rückfuß, zu chronischen Instabilitäten führen. Dieses ist nur mit einer Operation zu stabilisieren. Zusätzlich sollte, falls man auf dem Golfplatz in ein Loch tritt und hier ein Verdrehtrauma hat, nicht nur die häufig angewandte Orthese tragen, sondern auch regelmäßig im Nachgang ein sogenanntes propriozeptives Training machen, was die Ansteuerung der Muskulatur und die Wiedergewinnung der Stabilität, auch im Gehirn, gewährleistet.

Knorpelveränderungen unterliegen den gleichen Kriterien wie am Knie.

„Von daher besteht sogar die Möglichkeit, dass man nach der Operation ein besseres Handicap hat.“

GM: Ein alter Tenniskollege erzählte, dass sein Hausarzt ihm damals sagte, dass er sein Überbein entweder operieren lassen könnte, oder er auch abends mit der Bibel draufschlagen könnte. Ab wann und wie sind Überbeine behandlungswürdig?

Ein Überbein oder Ganglion wurde in meiner Jugend mit einem 5 DM-Stück und einem Hammer behandelt (lacht). Es zeigt sich aber, dass damit die grundsätzlichen Mechanismen, die zur Schädigung führten, nicht behoben werden!

Ein Überbein oder ein Ganglion findet sich meistens im Bereich von Sehnen oder Knochen, die Druckstellen und Reizungen aufweisen. Prinzipiell ist es eine Zyste, die meistens mit einer gallertartigen Flüssigkeit (Hyaluronsäure) gefüllt ist. Ein Ganglion sollte nur entfernt werden, wenn es dem Patienten einen Leidensdruck verschafft. Ansonsten kann es, wenn es seine Zielgröße erreicht hat und nicht stört, bleiben. Man kann fast immer eine Bösartigkeit des Gewebes ausschließen. Die Operation eines Ganglions sollte extrem präzise vorgenommen werden, da noch verbliebenes Gangliongewebe in knapp 20% zu einem Rezidiv (erneutes Auftreten) führt. Um das zu vermeiden, operiere ich ein Ganglion meistens mit einer Lupenbrille, um somit alles Gewebe rauszuschneiden.

GM: Golfer haben nur den Winter über Zeit, um sich die körperlichen Wehwehchen zu kurieren. Können Sie uns grobe Anhaltspunkte geben, wie lange welche Methode inkl. Reha-Zeitraum je nach Verfassung circa in Anspruch nimmt?

Die chronischen Veränderungen im Bereich der Achillessehne als auch die Sprunggelenksoperationen haben in der Regel Karenzzeiten von 8 Wochen. Danach könnte man mit Putten und kurzem Spiel beginnen, so dass über die Winterzeit diese Dinge sehr gut in das Schema passen. Sprunggelenksprothesen, Umstellungsosteotomien und Knieprothesen sind etwas langwieriger. In meiner funktionellen Nachbehandlung, können die Patienten ab dem 3. Monat mit Putten anfangen, um dann langsam ins Kurzspiel zu kommen. Es sollte hier im weiteren Verlauf ab einem halben Jahr wieder angefangen werden einzelne Löcher zu spielen, so dass man nach 9 Monaten wieder eine Runde oder eine halbe Runde spielen kann. Nach einem Jahr sollte bei einem selbständigen, ausführlichen Training mit Fahrradfahren, Aquajogging (keine Geräte zum Kraftaufbau) die Golffreude vollständig wieder ausgelebt werden können. Eine derartige Verletzung gibt jedem Golfer die einmalige Chance sein Kurzspiel zu verbessern (lacht). Von daher besteht sogar die Möglichkeit, dass man nach der Operation ein besseres Handicap hat.

GM: Vielen Dank für das informative Gespräch!

Klinik Heidelberg